Was hat Sie, hier neben Brecht stehend, daran gereizt, die Dreigroschenoper als “Mackie Messer – der Dreigroschenoperfilm” zu verfilmen und sehen Sie Ihren Film als Zeitkritik an Heute oder nicht?
Ich möchte den Staub, der sich im Laufe der Jahrzehnte über das erfolgreichste und populärste deutschsprachige Stück des 20. Jahrhunderts gelegt hat, entfernen und es in einen brisanten Zusammenhang stellen. Dafür versuche ich die im Text angelegten Provokationen und Frechheiten wieder zu entdecken. Der Haifisch soll wieder Zähne bekommen.
Die ersten Verse des Eröffnungssongs zeigen schon die Richtung. Dass der Haifisch seine Zähne im Gesicht trägt und das Messer des Räubers Macheath nicht zu sehen ist, kann als Bild für den gegenwärtigen Zustand der Welt gelten. Der Angriff des Raubtiers erscheint harmlos gegenüber den verborgenen Brutalitäten eines Systems, in dem die Machenschaften, die Existenzgrundlagen vernichten, in scheinbarer Seriosität vor sich gehen.
Mir geht es um ein neues Sehen, nicht nur auf Brecht und sein erfolgreichstes Werk, sondern auch um die Erweiterung von Möglichkeiten im Bruch mit Konventionen, in der Kunst und in der Wirklichkeit, in einer Welt, die durch frappierende soziale Ungleichheit zunehmend aus den Fugen gerät.
Wie viele Maturanten hatte ich die Geschichte noch so halbwegs im Kopf. In Ihrem Film kommen aber noch zwei Ebenen dazu, also quasi ein Film über den Film wie auch der letztjährige Oscargewinner LALALAND mit Rahmen- und Binnenhandlung. War diese Vielschichtigkeit von Anfang so geplant oder sprangen Sie auf den Trend auf?
Diese Vielschichtigkeit war von Anfang an so geplant und folgt keinem Trend, auf keinen Fall LaLaLand. Ich möchte dieses große Werk der Weltliteratur neu entdecken und es in einen aktuellen Kontext stellen. Das Stück ist ungeheuer populär, die Songs sind Schlager geworden, trotzdem gibt es nur ganz wenige Verfilmungen, die letzte deutschsprachige liegt mehr als 50 Jahre zurück. Das ist überraschend, zumal es ein Exposé von keinem Geringeren als vom Autor selbst gibt: Bertolt Brecht. Er sagte zu Recht, es sei Unfug, Elemente eines Theaterstücks wenig verändert zu verfilmen und schrieb dieses Konzept für eine Verfilmung. Man kann also sagen, unsere Arbeit ist die erste auf Brecht basierende Verfilmung seines Welterfolgs.
Aus Brechts Exposé entnehme ich wesentliche Handlungsstränge, dazu kommen Dialoge und Szenen aus der Oper und dem „Dreigroschenroman“. Außerdem gibt es eine Rahmenhandlung, die ins Berlin der 1920er Jahre zu einem jungen, wilden Künstlerkollektiv mit Brecht im Mittelpunkt führt und die Entstehung des Exposés vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise und des aufkommenden Faschismus zeigt. Gleich nach dem Welterfolg auf der Bühne entstand der Plan, aus der „Dreigroschenoper“ einen Film zu machen.
Brechts Vorstellungen davon waren politisch und ästhetisch radikal, und es war klar, dass er damit in Konflikt mit der Filmindustrie kam, der es um den Erfolg an der Kinokasse ging. Es kam zum Prozess, mit dem Brecht zeigen wollte, dass die Geldinteressen der Filmindustrie sich gegen sein Recht als Autor durchsetzen. Er nannte das Ganze „soziologisches Experiment“, er bediente sich der modernen Massenmedien und inszenierte in der Öffentlichkeit ein Gerichtsverfahren, er inszenierte gewissermaßen die Wirklichkeit, das hatte zuvor noch kein Dichter gemacht. Brecht selbst konnte seinen Dreigroschenfilm nie selbst drehen, er musste vor den Nazis aus Deutschland fliehen und später war es für ihn nicht mehr möglich.
Wir zeigen also den Film, der nie gemacht wurde, die Rahmenhandlung ist eine Art Making of dieses Films und zeigt Brechts Kampf mit der Filmindustrie vor dem Hintergrund der wilden Zwanziger. Die Dreigroschenoper liefert dazu den Sound der Zeit.
Im Gegensatz zu Thomas Mann kennt man in der Schweiz das Privatleben Brechts wenig. Es kommt aber auch im Film vor und er wird als sehr von sich eingenommener Besserwisser dargestellt, der kalt ist. Als ehemaliger Leiter des Brechtfestivals Augsburg und Regisseur von Brecht-Theaterstücken: Was fasziniert Sie an diesem Mann, der in Ihrem Film ja den Film als Kunstform hasst?
Brecht ist einer der ganz großen Dichter der Weltliteratur. Es geht mir um ein neues Bild des Dichters, das sich in der Forschung immer mehr durchsetzt. Demnach war Brecht kein trockener Ideologe, bei dem alles berechenbar ist, wie man immer noch liest. Das Gegenteil ist der Fall. Brecht war ein provokanter, gesellschaftskritischer Autor, der unterhalten und nicht nur das Theater revolutionieren wollte, für mich der wichtigste deutschsprachige Dichter des 20. Jahrhunderts, er hat die Kunst entscheidend geprägt. Brecht war der Mittelpunkt eines Künstlerkreises, zu dem u. a. seine Frau, seine Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann, die Schauspielerin Carola Neher und natürlich der Komponist Kurt Weill sowie dessen Frau Lotte Lenja zählten. Diese Künstler schafften die kulturellen Glanzlichter der Zeit, aber sie sorgten auch für Skandale.

Dem hiesigen Publikum dürfte Tobias Moretti als ehemaliger Kommissar Rex vom Fernsehen her bekannt sein, der den Mackie Messer spielt. Lars Eidiniger als Brecht und viele andere Schauspieler in Ihrem Film sind eher im Theater zu Hause. Proben Sie mit denen extra für ihren Filmauftritt, damit Mimik und Gestik nicht zu theatralisch wirken wie auf der Bühne sondern zurückgenommen für den Film?
Lars Eidinger und Tobias Moretti gehören zu den besten Theater- und Filmschauspielern überhaupt, das trifft auf alle Schauspieler des Films zu, ich hatte das Glück mit einem ganz herausragenden Ensemble zu arbeiten. Wenn man die Provokationen und Frechheiten des Stücks freilegen und für die Gegenwart nutzbar machen will, muss man die Figuren neu entwickeln. Darauf haben wir besonders viel Sorgfalt gelegt, intensiv und mit viel Spaß probiert, man spürt die enorme Spielfreude des Ensembles. Nehmen wir Tobias Moretti. Wie oft habe ich schon Mackie Messer als Revuehelden gesehen. Tobias zeigt Mac ganz anders, witzig, hintergründig, voller Ironie. In der Rahmenhandlung spielt Lars Eidinger Brecht als provokanten, schlagfertigen, überaus selbstbewussten Mittelpunkt eines jungen Künstlerkollektivs, der die Anderen um sich sammelt und sie für seine Kunst braucht.

Im Gegensatz zu Lars von Tiers “Dogville”, wo nur mit Kreide die Requisite gezeichnet wird, haben Sie zeitgemäss mit Computeranimation, aber auch mit Theaterszenen gearbeitet. Ist das Ihre Interpretation von Kunstfilm 2018?
Ja, diesen Anspruch habe ich durchaus. Im Dreigroschenprozess gibt es ein Schlüsselzitat von Brecht. Sinngemäß lautet das so: Die Situation ist heute so, dass ein Foto, etwa der Kruppwerke, beinahe nichts über die Wirklichkeit aussagt, es ist etwas Gestelltes, Künstliches, Kunst nötig. Es geht um Kunst und Wirklichkeit, ein Thema, mit dem ich mich in verschiedenen Zusammenhängen beschäftige. Unser Film versucht mit künstlerischen Mitteln – und zwar mit den Möglichkeiten der Gegenwart – die oberflächlich wahrgenommene Wirklichkeit durchschaubar zu machen, wie das löchrige Gewand der Bettler, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. Mit den Künsten, mit Film, Theater, Musik, Literatur, der Schauspielkunst, der Bühnenkunst, auch dem Tanz.

Anders als bei Ihren Fernsehfilmen kommen Sie mit dem “Dreigroschenfilm” persönlich zur Schweizer Premiere ins KOSMOS nach Zürich. Sind für Sie solche öffentlichen Auftritte, wo Kritik und Lob vom Publikum aus dem Saal auf Sie niederprasseln mehr als Werbung?
Für mich ist der Dialog mit dem Publikum ungeheuer wichtig und spannend. Ich mache meine Filme nicht für mich, sondern für die Zuschauer. Ich freue mich sehr auf die Schweizer Premiere.
Weitere Informationen zur Schweizer Premiere im KOSMOS hier