Der Begriff Konzentrationslager steht nicht nur für sechs Millionen vergaster Juden sondern auch für 391 getötete Schweizer. In ihrem Buch „Die Schweizer KZ-Häftlinge“ schildern die drei Autoren Benno Tuchschmid, Balz Spörri und René Staubli, warum die Schweizer Opfer des Holocaust wurden und warum der Bundesrat versagte zu helfen.
Autor Balz Spörri , was war der Auslöser, das Buch “Die Schweizer KZ-Häftlinge” zu schreiben?
Ich besuchte im Spätsommer 2014 das KZ Buchenwald in der Nähe von Weimar. Dort stiess ich auf eine Tafel, die an die Nationalitäten der Menschen erinnert, die hier inhaftiert gewesen waren. Zwischen «Schweden» und «Senegalesen» steht da: «Schweizer». Obwohl ich Geschichte studiert habe, war es für mich völlig neu, dass es auch Schweizer KZ-Häftlinge gegeben hatte. Hier besteht eine grosse Forschungslücke. Mit unserem Buch möchten René Staubli, Benno Tuchschmid und ich dazu beitragen, diese Lücke zu schliessen und an die Opfer zu erinnern.
Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler Reichskanzler, am 4. März schon der erste Schweizer verhaftet und ins KZ gesteckt. War dies eine unüberlegte Aktion gewesen, da die Nazis ja der Schweiz gegenüber für eigene Interessen eine “wohlwollende Haltung” hatten?
Die Nazis hatten lange zuvor angekündigt, dass sie nach der Machtübernahme alle politischen Gegner verhaften und in Lager stecken würden. Zwischen März und April 1933 wurden über 45’000 Menschen verhaftet, unter ihnen auch mehrere Auslandschweizer. Die meisten dieser Häftlinge wurden innert weniger Monate wieder freigelassen. Wenn die Schweizer Diplomaten im deutschen Aussenministerium intervenierten, kam man ihnen zu diesem Zeitpunkt meist entgegen und liess die Häftlinge frei.
Anfangs kümmerte sich der Bundesrat noch um die Freilassung seiner gefangenen Bürger im Ausland, später immer weniger. War das Feigheit oder Angst vor der deutschen Regierung?
Dabei spielten mehrere Faktoren eine Rolle. Der wichtigste war sicherlich, dass die Schweiz auf keinen Fall Hitler verärgern wollte. Man fürchtete, dass Interventionen zugunsten der deportierten Schweizer Juden und der KZ-Häftlinge Hitler derart in Rage bringen würden, dass er einen Einmarsch in die Schweiz befehlen könnte.
Die Aufarbeitung der Geschichte der Schweizer KZ Häftlinge dauerte vier Jahre. Wie teilten Sie sich die Arbeit des Nachforschens mit Ihren Mitschreibern und gab es auch Momente, wo die Trauer über die Umstände die Schreibarbeit unterbrach?
Wir haben sowohl die Recherche wie auch die Schreibarbeit untereinander aufgeteilt, wobei wir uns ständig austauschten. Während unserer Arbeit gab es immer wieder Momente der Trauer, aber auch der Empörung darüber, was diese Opfer erleiden mussten und wie wenig die Schweiz dafür getan hat, um ihnen zu helfen.
Von meinem Grossvater weiss ich, dass Juden versteckt wurden auf Schweizer Bauernhöfen. Lähmte die Angst, die Dikatoren verbreiten, auch die Verwandtschaft in der Schweiz ihren Onkeln, Tanten mit irgendwelchen Tricks zu helfen, aus Nazideutschland abzuhauen oder glaubten viele einfach, das der Sonderstatus Schweiz sie auch vor dem KZ schütze?
Die Verwandten in der Schweiz taten in der Regel alles, um ihren von der Deportation bedrohten oder bereits verhafteten Angehörigen zu helfen. In den Akten im Bundesarchiv finden sich herzzerreissende Briefe an den Bundesrat, er möge doch versuchen, einen Angehörigen oder eine Angehörige in die Schweiz zurückzuholen.
Welche Erkenntnisse haben Sie für sich aus dem Schreiben des Buches gewonnen?
Die Verfolgung und Vernichtung von Menschen durch das NS-Regime kamen nicht aus heiterem Himmel. Sie hatten eine Vorgeschichte. Es ist gerade heute wichtig, allen menschenverachtenden, oft antisemitischen Äusserungen und Gewalttaten entschlossen entgegenzutreten. Und für die Schweizer Diplomatie würde man sich für die Zukunft eine etwas mutigere, weniger opportunistische Haltung wünschen.
Welche Reaktionen auf das Buch hatten Sie am meisten überrascht? Kamen sogar entfernte Verwandte der Ermordeten auf Sie zu?
Wir erhielten viele Reaktionen. Mehrere Nachkommen von Opfern sind auf uns zugekommen und haben uns berührende Geschichten erzählt.
Die Buchkritik
Die Schule lernt uns, dass die Schweiz während der Zeit des Nationalsozialismus einen Sonderstatus inne hatte aufgrund ihrer Neutralität.
Die Kooperation mit dem Deutschen Reich waren die Abwicklungen der Devisen durch die Goldtransaktionen der Reichsbank über das Schweizer Bankensystem.
Von Schweizer, die im KZ gestorben waren, hat man bis heute nie was gehört, höchstens das unser Holocaust erst nach dem Krieg begann mit den Verdingkindern.
Wer noch Grosseltern hatte, die den zweiten Weltkrieg erlebten und davon erzählten, wie sie um das Ueberleben kämpften in dieser Zeit, geht anders an die Lektüre von „Schweizer KZ-Häftlinge“ als jemand, der das Buch als Versagen des Bundesrates liest. Doch von der ersten bis zur Seite 318 ist das Mahnmal gegen das Vergessen aufwühlend auch 75 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges und man liest es dank des guten Stils zwar flüssig, abernicht in einem Fluss sondern hält zwischendurch immer wieder inne, denn es ist kein seelenloses Sachbuch sondern eines, das die Opfer fassbar macht.
Die Schweizer KZ-Häftlinge erschien im NZZ Libero Verlag.
Weitere Informationen hier
Die Bilder stammen aus dem Buch und wurden zur Verfügung gestellt
Bildnachweis
1
S. 182 Beatrice Lang, SonntagsZeitung, Tamedia, 19.2.1995
3
S. 226 Schweizerisches Bundesarchiv, Bern, E200108#1978/107#840*
4
S. 129, 131, 135 Archiv Marie-Claire Giudici, Royan
5
S. 139, 144, 148 Familienarchiv Alexander Abegg,
St. Peter-Freienstein
6
S. 153 Archiv Laurent Favre, Dorénaz
8
S. 182 Beatrice Lang, SonntagsZeitung, Tamedia, 19.2.1995