Zürich – Ottilie W. Roederstein, die Frau, die wie Hodler berühmt war, neu entdecken

Wenn das Kunsthaus Zürich ab dem 22. Januar wieder aufgeht, wird die Retrospektive der bekanntesten Schweizer Porträtistin der Moderne Ottilie W. Roederstein mit 75 Werken bis zum 5. April 2021 zu sehen sein.

Heute malen Künstlerinnen, was sie fühlen. Doch in einer Zeit 1859–1937 war es für Ottilie W. Roederstein nicht möglich alleine dies zu tun, sie ging gezielt einen anderen Weg, um sich ihre Selbstständigkeit zu erhalten. Sie malte Menschen und machte Werke für den Kunstmarkt. Die Konventionen sprengte sie nicht, sie unterwarf sich ihrer. Ihre Porträts, Stillleben waren brav, später etwas mutiger und  doch etwas war anders, sie malte als Frau auch religiöse Bilder. Und sie war in allen Stilmitteln sehr gut. So gut, dass sie neben der Heimat auch in Frankreich, London, Chicago und Frankfurt am Main ausstellte. Als Ritterschlag galt ihre Teilnahme als einzige Frau 1912 für die Schweiz an der epochalen «Internationalen Kunstausstellung des Sonderbundes» in Köln – neben männ­lichen Kollegen wie Ferdinand Hodler, Giovanni Giacometti und Cuno Amiet.

Leider geriet Ottilie W. Roederstein nach ihrem Tod in Vergessenheit. Kuratorin Sandra Gianfreda zeigt neben den 75 Werken, die auch die wichtigsten Lebensstationen der Künstlerin aufzeigen, auch bisher unveröffentlichte Fotos und Zeichnungen. 

Weitere Informationen zur Ausstellung hier 

Bildlegenden:
1Ottilie W. Roederstein, Der Sieger, 1898 Öl auf Pappe, 91 x 69,8 cm Städel Museum, Frankfurt am Main, Foto © Städel Museum, Frankfurt am Main
2
Ottilie W. Roederstein in ihrem Atelier im Städelschen Kunstinstitut, Frankfurt am Main, um 1894 Roederstein-Jughenn-Archiv im Städel Museum, Foto © Roederstein-Jughenn-Archiv im Städel Museum, Frankfurt am Main
3
Ottilie W. Roederstein, Kirschenjunge, 1899 Öl auf Leinwand, 37 x 29,5 cm Privatsammlung, Frankfurt am Main, Foto © Museum Giersch der GoetheUniversität/Uwe Dettmar, Frankfurt a. M.
4
Ottilie W. Roederstein, Selbstbildnis mit Pinseln, 1917 Tempera auf Leinwand, 48 x 39 cm Kunsthaus Zürich, Vereinigung Zürcher Kunstfreunde, 1917

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Zürich – Smalltalk zwischen Suter und Stuckrad – Barre

Hilft der Schweizer Bestsellerautor Martin Suter dem deutschen Literaten Benjamin von Stuckrad-Barre, der in seiner 22-jährigen Karriere nur zwei gute Bücher schrieb, mit „Alle sind so ernst geworden“ zu Aufmerksamkeit oder verhält es sich ganz anders?

Als das jüngste von vier Pastorenkinder aus Rotenburg nach journalistischen Anfängen für das Musikmagazin Rolling Stone, FAZ, Stern, 1998 mit „Soloalbum“ sein literarisches Debut gab, glaubten viele Schreiberlinge, das sei der kommende Star am deutschen Literaturhimmel. Sein Debut war wie er frech, schlau und voller Lebenshunger. Doch der Benjamin wurde Kokain und Alkoholsüchtig, lebte jahrelang in zwei Welten, der des Literatur- und Kulturbetriebes und der des Junkies bis er in eine Klinik eingewiesen wurde, aber zäh wie er ist, immer wieder aufstand und im Medienzirkus weiter Aufträge und Sendeplätze bekam. Erst 2016 mit „Panikherz“ über seine Liebe zu Udo Lindenberg gelang es ihm, sich wieder an die Spitze der Bestellerliste zu setzen, doch seither ist wieder Sendepause.

Im August an der Ostsee begegnen sich Martin Suter und Stuckrad Barre in einem Hotel. Suter trägt eine orangene Badehose und ist sich nicht schade auf ein oberflächliches Gespräch einzulassen, bei dem er mit scharfen Beobachtungen aus dem Alltag dem Benjamin, der etliche Jahre jünger ist, oft den Wind aus dem Segeln nimmt. Wie so oft, wenn zwei Männer sich mit oder ohne Badehose treffen , geht das Gespräch in eine Richtung Arbeit, Frauen, Musik, Mode , 256 Seiten lang. 

„Alle sind so ernst geworden“, klar der Titel passt in dieses sehr ernste Coronajahr und für einmal wagt Diogenes ein ungewöhnliches Experiment. Zwei kluge Köpfe einfach loslabern zu lassen und das auch noch drucken. 

Der Bestellerautor Suter gewinnt damit vielleicht jüngere Fans und ist nahbarer als man es sonst mit seiner Gentlemenart sonst gewohnt ist, aber er verhilft vor allem Benjamin von Stuckrad-Barre wieder zu Aufmerksamkeit und einen Platz neben dem Literaturstar, den er sonst nicht bekommen hätte. 

Das Buch ist sehr leichte Kost, zuerst unterhaltsam, dann aber auch geschwätzig und ohne wirklichen Tiefgang. Warum sich Diogenes auf so etwas wie diesen Small talk eingelassen hat, ist mir ein Rätsel. 

Weitere Informationen zu Alle sind so ernst geworden von Diogenes hier 

Fotos Suter von Urs Jaudas copyright Diogenes

         Stuckrad-Barre von Maurice Haas copyright Diogenes

Riehen – Rodin und Arp im Vergleich in der Fondation Beyeler


Ausser einer kurzen Begegnung im Pariser Atelier pflegten Rodin und Arp in der Stadt keinen Kontakt, doch beide haben die moderne Bildhauerei geprägt und die Fondation Beyeler stellt nun die beiden Künstler im Dialog zwischen figürlicher und abstrakter Bildhauerei in der Ausstellung bis zum 16. Mai gegenüber.

„Rodin/Arp“ – der Titel der neuen Ausstellung ist kein Zufall, spielen doch beide Namen im Leben von Direktor Sam Keller eine wichtige Rolle. Als Jugendlicher spielte er in Riehen Fussball und schlich sich nachts über den Zaun eines Parks, wo Rodin gezeigt und er zum ersten Mal von Kunst berührt wurde und später studierte. Als er vom Gründer der Fondation Ernst Beyeler gefragt wurde vor 15 Jahren, ob er das Museum übernehmen würde, geschah dies vor einer Collage von Arp. 

Nun hängen 106 Leihgaben trotz schwierigem Umfeld der Beschaffung in den Fondation und Rafael Bouvier ist der Kurator der Ausstellung, die eines zeigt, auch Fan sein, kann einen Künstler weit bringen. 

Dann ausser einer nicht dokumentierten Begegnung im Pariser Atelier von Rodin war ihm der 1886 in Strasburg geborene und 1966 in Basel gestorbene Hans Peter Wilhelm Arp egal. Aber nicht umgekehrt. Dazu war der Franzose  Francoise August Rodin einfach zu genial als Vertreter der Moderne, der mit seiner etwas machohaften Art wie sein Vater als Polizist, Figuren in Stein und Marmor haute, die monumental und sinnlich zugleich waren. 

Rodin versuchte das Leben von Innen nach aussen dazustellen, er setzt vieles zufällig zusammen, arbeitet mit dem Model, verlangte von diesem extrem Situationen ab, verrenkte den  Körper. Arp hat dies bei seinen Collagen auch gemacht, aber er holt die Figuren vom Sockel. Seine Skulpturen wachsen aus dem Boden, er sieht eine Verbindung Mensch-Pflanze und die Veränderung im Laufe eines Menschenlebens ist auch ein Thema. Auch gelingt es Arp eine Skulptur so zu schaffen, dass, wenn man uns sie geht, sie auf allen Seiten ein anderes Bild von sich gibt.
Der Dialog, den Kurator Rafael Bouvier durch alle Räume schafft, fragt: Was verbindet, was unterscheidet diese beiden Männer und ihre Arbeiten? Und dies nicht nur im bildhauerischen sondern auch im grafischen Schaffen. 

Beide Künstler haben eine Hingabe zum Torso. Trotz fehlendem Kopf oder Rumpf ist dieser Körperteil bei beiden das Objekt der Begierde, wobei sicher Rodin mehr Sinn für Erotik hatte und sein Privatsekretär Rainer Maria Rilke zu Gedichten inspirierte und noch heute sind Figuren wie „Der Denker“ oder „der Kuss“ Meilensteine bildender Kunst.

Zwar ist die Ausstellung etwas gar schwer vom teilweise dunklen Material her in diesen Zeiten, aber auch der Park des Museums wird mit einbezogen sowie Zeichnungen und Collagen beider Künstler, so dass der Stein als Ausdrucksform nicht alleine im Raum steht.

Weitere Informationen zur Ausstellung hier 

Fotonachweis

1  

AUGUSTE RODIN, DER KUSS, GROSSE FASSUNG, 1889–1898

Bronze (Coubertin, 2008), 181,5 x 112,3 x 117 cm
Sammlung Fondation Pierre Gianadda, Martigny
Foto: Michel Darbellay – Fondation Pierre Gianadda

HANS ARP, MENSCHLICH MONDHAFT GEISTERHAFT, 1950

Gips, 83 x 65 x 50 cm
Musée national d’art moderne, Centre Georges Pompidou, Paris, Saisie de l’Administration des Douanes en 1996
Depositum in der Fondation Arp, Frankreich
© 2020, ProLitteris, Zürich
Foto: © Centre Pompidou, MNAM-CCI/Adam

AUGUSTE RODIN INMITTEN SEINER SKULPTUREN IM PAVILLON DE L’ALMA, MEUDON, UM 1902

Foto: Eugène Druet
© Musée Rodin

4

HANS ARP IN SEINEM ATELIER INMITTEN SEINER SKULPTUREN, CLAMART, 1954

Foto: Denise Colomb
© Ministère de la Culture – Médiathèque de l’architecture et du patrimoine, Dist. RMN-Grand Palais/Denise Colomb © RMN-Grand Palais

AUGUSTE RODIN, DER DENKER, ORIGINALGRÖSSE, 1880/1882

Bronze (Auguste Griffoul, 1896), 72 x 34 x 53 cm
MAH Musée d’art et d’histoire, Genf
Foto: © MAH, Genève, Photo Flora Bevilacqua

HANS ARP, AUTOMATISCHE SKULPTUR (RODIN GEWIDMET), 1938

Granit, 26 x 22 x 11,5 cm
Privatsammlung, London
© 2020, ProLitteris, Zürich
Foto: Heini Schneebeli

7

AUGUSTE RODIN, TORSO DER ADÈLE, 1882

Gips, Probeguss, 13,3 x 44,6 x 18,9 cm
Musée Rodin, Paris, Inv. S.01223
Foto: © musée Rodin (photo Christian Baraja)